Am 23.10.2024 um 9:30 Uhr wird vor dem Landgericht Stuttgart (Ulrichstraße 10) erneut ein Fall von schwerer Körperverletzung verhandelt. Der Angeklagte, bereits vorbestraft, hat mit einem Schlag das Leben von Herrn Nurullah K. drastisch verändert. Der Täter wurde in erster Instanz zu drei Jahren Haft wegen schwerer Körperverletzung verurteilt. Nun legen er und seine Anwältin Berufung ein. Dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg (VDSR-BW) ist es ein besonderes Anliegen, die Zivilcourage und den Mut Nurullah K. zu würdigen und an die Öffentlichkeit zu tragen.
Im letzten Jahr begleitete der Dolmetscher Nurullah K. im Rahmen seiner Arbeit bei der Johanniter Unfallhilfe e.V. in Stuttgart Bad-Cannstatt eine Gruppe geflüchteter Jugendlicher und junger Erwachsener. Die Gruppe kam gerade von einer Filmvorführung und die Jugendlichen trugen traditionelle Kleidung, was auf ihre Zugehörigkeit zur Roma-Minderheit in der Ukraine schließen ließ. Am Bahnhof Bad Cannstatt begegneten sie dem Täter, der sie anschrie und beschimpfte. „Er war sehr aggressiv und feindselig gegenüber den Jugendlichen“, erinnert sich Nurullah K. Eine junge Frau aus der Gruppe bemerkte, dass der Täter ihnen folgte und äußerte ihre Sorge: „Der wird uns etwas antun.“
Schließlich holte der Täter die Gruppe ein. Nurullah K. reagierte sofort, ließ sich zurückfallen, um die Jugendlichen zu schützen, und forderte sie auf, nicht zurückzuschauen und weiterzugehen. Als er sich umdrehte, um die Situation im Blick zu behalten, näherte sich der Täter mit hoher Geschwindigkeit und versetzte ihm unvermittelt einen brutalen Schlag ins Gesicht. Nurullah K. verlor infolge der Attacke einen Großteil seines Sehvermögens auf dem rechten Auge sowie das Gefühl in Teilen seiner rechten Gesichtshälfte.
Nach dem Angriff wurde Nurullah K. ins Krankenhaus gebracht. Erst nach seinem siebentägigen Aufenthalt dort erfuhr er, dass seine Anzeige offenbar nicht aufgenommen worden war. Laut dem Betroffenen wurde dies erst nach Vorlage eines ärztlichen Attests ermöglicht. Nurullah K. fühlte sich nicht ernst genommen und wandte sich an die Beratungsstelle für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Baden-Württemberg LEUCHTLINIE, die ihn unterstützte.
Arne Güttinger von der LEUCHTLINIE: „Nurullah K. zeigte während seiner Arbeit die viel beschworene Zivilcourage, indem er bedrohten und schwächeren Menschen half. Leider erleben Betroffene rechter Gewalt immer wieder, dass sie von der Polizei nicht ausreichend unterstützt und ernstgenommen werden.“
Der Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg, begleitet den Gerichtsprozess, um die mögliche antiziganistische Motivation der Tat näher zu beleuchten.
Chana Dischereit vom VDSR-BW: „Es ist von zentraler Bedeutung, dass Antiziganismus als mögliche Tatmotivation bereits früh von den ermittelnden Behörden in Betracht gezogen wird. In einigen Fällen, wie zum Beispiel in Ulm, gibt es bereits Fortschritte in dieser Hinsicht. Wir setzen uns kontinuierlich dafür ein, dass die Polizei noch mehr Sensibilität für diese Thematik entwickelt. Nur so kann sichergestellt werden, dass solche Tatmotive in die Ermittlungen und den Gerichtsprozess einfließen. Wir möchten Herrn Nurullah K. für seinen Mut danken, mit dem er sich für junge Geflüchtete eingesetzt hat.“
Es bleibt entscheidend, dass die Zivilcourage von Menschen wie Nurullah K. öffentlich gewürdigt wird, um auf den anhaltenden Kampf gegen rechte Gewalt aufmerksam zu machen.
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