In dem von der Gedenkinitiative Mahnmal Ravensburg und dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg gemeinsam mit der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber und dem Haus der Geschichte Baden-Württemberg veranstalteten Gespräch über Ausgrenzung und Verfolgung der Ravensburger Sinti im Nationalsozialismus, über den Kampf um Erinnerung und über Sinti und Roma als Teil der heutigen Stadtgesellschaft waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig, dass das einstige Lagergelände des Zwangslagers im Ravensburger Ummenwinkel – das größte kommunale „Zigeunerlager“ während der NS-Zeit im deutschen Südwesten, ein Ort der Zwangsarbeit und Ausgangspunkt von Deportationen nach Auschwitz – sichtbar gemacht und stärker in die Erinnerungsarbeit einbezogen werden muss. Eine Gelegenheit dazu bietet sich mit der zentralen Gedenkstunde des Landtags von Baden-Württemberg für die Opfer des Nationalsozialismus, die im Januar 2022 Sinti und Roma gewidmet ist und auf Vorschlag des VDSR-BW in Ravensburg stattfinden.
Auch die Arbeit mit jungen Menschen, insbesondere mit Schulen, sowie die Begegnung zwischen den Nachkommen von Verfolgten und Verfolgern wurden als Notwendigkeiten betont. Gewürdigt als Meilenstein in der lokalen Aufarbeitung der Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma wurde von der Diskussionsrunde die gerade eröffnete, bis zum 30. Januar 2022 im Ravensburger Museum Humpis-Quartier zu sehende Ausstellung „Ausgrenzung und Verfolgung: Ravensburger Sinti im Nationalsozialismus“. Die Ausstellung stellt die allgemeine Geschichte der Ravensburger Stadtgesellschaft anhand der dort seit spätestens dem 19. Jahrhundert und vermutlich schon viel länger lebenden Sinti dar. Damit wird die Minderheit aus einer Tradition der historiographischen Marginalisierung befreit und ins Zentrum des historischen Geschehens gestellt. Die eigene Handlungsmacht von Sinti und Roma, auch im Kampf um die Erinnerung und die Anerkennung des Völkermords in der Stadt, wird dabei sichtbar.
Aus Gründen der Pandemie fand die ursprünglich vor Ort im Ummenwinkel geplante Matinee als Online-Podiumsgespräch am Sonntag, dem 20. Juni 2021 statt, unter Beteiligung von Simon Blümcke, Erster Bürgermeister der Stadt Ravensburg, Heike Engelhardt, SPD-Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat Ravensburg, Preisträgerin Rahel-Straus-Preis 2019, Magdalena Guttenberger, Gedenkinitiative Mahnmal Ravensburg e.V. und Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg, Sabine Mücke, Direktorin, Museum Humpis-Quartier, Ravensburg, Daniel Strauß, Vorstandsvorsitzender, Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg, Christine Stuhler-Seitel, Gedenkinitiative Mahnmal Ravensburg e.V. und Maria Weithmann, GRÜNEN-Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat Ravensburg (Moderation: Dr. Tim Müller, VDSR-BW).
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Sinti und Roma seit langem ein vertrauter Teil der Ravensburger Stadtgesellschaft. Ab 1933 nahmen rassistische Ausgrenzung und Schikanen ständig zu. 1937 errichtete die Stadt Ravensburg das Zwangslager „Ummenwinkel“. Über 100 Männer, Frauen und Kinder aus Ravensburg wurden dorthin zwangsumgesiedelt und lebten fortan zusammengepfercht in Baracken hinter Stacheldraht. Sie wurden überwacht, schikaniert und durch Zwangsarbeit im städtischen Tiefbau, in der Landwirtschaft und in anderen Betrieben der Region ausgebeutet.
Am 13. März 1943 verschleppten Kriminalpolizei und lokale Polizisten 34 Kinder, Männer und Frauen aus dem Lager. Sie wurden am 15. März 1943 vom Ravensburger Bahnhof über den Güterbahnhof Stuttgart in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Auf einem Denkmal an der Ravensburger Jodokskirche sind seit 1999 die Namen von 29 dort ermordeten Ravensburger Sinti festgehalten. Die Überlebenden wurden bei ihrer Rückkehr wieder auf dem Gelände des ehemaligen Lagers Ummenwinkel angesiedelt und blieben dort bis 1984 – ohne Anschluss an Strom- und Wasserversorgung. Erst als eine Umgehungsstraße am ehemaligen Lager erbaut werden sollte, wurde unweit davon ein neues Wohnquartier „Ummenwinkel“ vor den Toren der Stadt angelegt.
Am Ort des ehemaligen Zwangslagers erinnert bisher nichts an diesen Teil der Ravensburger Geschichte.