Im Mittelpunkt der Gedenkstunde des Landtags von Baden-Württemberg für die Opfer des Nationalsozialismus standen am 27. Januar 2022 die verfolgten und ermordeten Sinti und Roma. Landtagspräsidentin Muhterem Aras forderte in ihrer Gedenkrede dazu auf, Antiziganismus auch in der Gegenwart, nicht zuletzt an den Schulen, zu bekämpfen. Die Historikerin Dr. Karola Fings, die an der Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg das Projekt “Enzyklopädie des NS-Völkermords an den Sinti und Roma in Europa” leitet, skizzierte die historische Dimension der Vernichtungspolitik.
Der Landesvorsitzende des VDSR-BW, Daniel Strauß, erinnerte an das Schicksal seiner Familie und erklärte: “Wie konnte es zu diesem Völkermord kommen? Die Antwort ist so erschreckend wie einfach: Indem so viele mitmachten und fast niemand dagegen Widerstand leistete. Die Verfolgung verschärfte sich stufenweise. Am Anfang stand die Ausgrenzung. Am Ende die Auslöschung.” Darum “ist unser gemeinsames Gedenken, wenn es nicht nur ein leeres Zeichen sein soll, eine Verpflichtung für die Zukunft: Lernen wir voneinander. Begegnen wir einander mit Freundlichkeit und Mitmenschlichkeit. Misstrauen wir denen, die andere schlechtmachen, verweigern wir uns den Vorurteilen, Falschmeldungen und Hetzern. Treten wir als Menschen füreinander ein – und stellen wir uns jeder Form der Ausgrenzung in den Weg. Das sind wir denen schuldig, derer wir heute gedenken.”
Die Gedenkstunde hätte auf Vorschlag des VDSR-BW in Ravensburg stattfinden sollen, wo 1937 das größte kommunale Zwangslager für Sinti und Roma im nationalsozialistischen Südwestdeutschlad eingerichtet wurde. Von dort aus wurden Menschen in den Tod deportiert. 48 der hier Inhaftierten überlebten die NS-Gewaltherrschaft nicht. Ein Denkmal vor der St. Jodoks-Kirche erinnert an die in Auschwitz ermordeten Ravensburger Sinti. Vor diesem Denkmal versammelten sich Landtagspräsidentin Aras, Landesvorsitzender Strauß, die Spitzen der Landtagsfraktionen, Landtagsabgeordnete und Gesundheitsminister Manne Lucha, um im kleinen Kreis der im Nationalsozialismus Verfolgten und Ermordeten zu gedenken. Alle weiteren Programmteile wurden pandemiebedingt als Online-Veranstaltung durchgeführt. Das gesamte Programm kann in der Mediathek des Landtags abgerufen werden.
Der VDSR-BW hat das Programm wesentlich mitgestaltet. Die Filmaufnahmen der Reden von Daniel Strauß, Dr. Karola Fings sowie der musikalischen Beiträge von Sunny Franz (Violine) und Aaron Weiss (Klavier) fanden im Kulturhaus RomnoKher statt.
Ein Filmprojekt des Lernorts RomnoKher des VDSR-BW begleitete junge Angehörige der Minderheit – Armani Spindler, Madeleine Kehrer und Robert Trapp – in Ravensburg auf ihrer Spurensuche. Unterstützt wurden sie von Magdalena Guttenberger, die in Ravensburg die Überlebenden der NS-Verfolgung betreute und seit vielen Jahren Gedenkarbeit durchführt. Sie erkundeten das einstige Lagergelände, an das bis heute kein Gedenkzeichen erinnert, und rekonstruierten die Geschichte ihrer Familien im Museum Humpis-Quartier. Von den Verfolgten aus Ravensburg ist heute niemand mehr am Leben. Darum unterstützte Zilli Schmidt, die letzte Sintezza, die als Erwachsene Auschwitz-Birkenau überlebt hat, die Spurensuche der jungen Sinti. Sarah Franz führte in Mannheim ein Interview mit ihr, Moisha Klibisch wirkte als Sprecherin mit.